Zu unserer Naturveranstaltung für die ganze Familie haben wir uns am Samstag, den 6.04.2024 bei Niederroßbach mit dem Diplom-Geographen Frank Steinmann getroffen, dessen Fachgebiet die Gewässer- und Fischökologie umfasst.
Auf dem Weg zur Nister kommen wir an den sogenannten Ortsbach. Dieser ist von der umliegenden Landnutzung stark betroffen: Begradigt und seines ursprünglichen Verlaufes beraubt, fristet der Bach ein Schattendasein, obwohl er ein ökologisches Kleinod sein könnte. Es fehlt ihm einfach der Raum um sich auszubreiten, stattdessen frisst er sich in die Erdschichten ein und hat den Kontakt zum Umland verloren.
Dennoch hat sich durch die ergiebigen Regenfälle in den letzten Monaten hier etwas getan. Fragmente des ursprünglichen und kiesreichen Bachbetts wurden auf wenigen Metern freigespült.
Der Biber hat eine kleine Staustufe eingebaut.
Gewässerökologe Steinmann steigt ins Wasser, greift in den lehmigen Untergrund und hält uns den "Knist" vor die Augen. In diesem dichten Lehm gibt es keine Zwischenräume, Luft- und Wasserporen fehlen, Fische, Krebstiere, Eintags- und Köcherfliegenlarven finden hier keinen Lebensraum, erklärt er. Dann zeigt er auf den jetzt freigespülten ursprünglichen Bachgrund und holt runde Steine heraus. Diese Kies- und Steinstrukturen sind die Grundlage der Artenvielfalt natürlicher Bäche.
Frank Steinmann zeigt im mitgebrachten Aquarium typische Bewohner unserer Mittelgebirgsbäche: Bachforelle, Groppe und Bachneunauge, bedrohte und geschützte Arten, legt sie zur Ansicht in die Hand und setzt sie wieder zurück in den Bach.
Fotos: Frank Ebendorff
Er deutet auf den Bereich am abgebrochenen Ufer, eine Steinansammlung, ein sogenanntes Kiesdepot. Hier war der Bach einst vor seiner Umlegung abgebogen. Die wassergefüllte Senke dahinter, wo gerade zwei Waldwasserläufer aufgeflogen sind, verrät noch den historischen Verlauf der Bachschleife. Jetzt läuft der Ortsbach geradeaus weiter, macht einen 90-Grad-Knick und fließt schnurgerade in seinem vom Menschen gestalteten Verlauf in die naheliegende Nister.
Die Teilnehmer verfolgen die Ausführungen von Herrn Steinmann sehr interessiert.
Auf einem Pfad durch Weidengebüsch gelangen wir zur Nister Auf der Uferwiese liegen gefällte Weidenstämme mit Bißspuren vom Biber.
Danach geht es zurück zum Parkplatz. Wir fahren zum nächsten Bachabschnitt 5 km die Nister flussabwärts. An der Hilpischmühle kommen noch die Kinder der Naturschutzjugend hinzu, die mit Keschern und Becherlupen ausgerüstet, sind. Der Auwald dort begrüßt uns mit morgendlichem Vogelgesang und zahlreichen Frühblühern. Sonnige Frühlingsstimmung liegt in der Luft.
Frank Steinmann führt uns zu einem besonders schönen und natürlichem Abschnitt des Flüsschens.
Vor Ort erklärt er uns die aktuelle Lage des Ökosystems Bach, die leider nicht so gut ist, wie unser erster Eindruck. Rund 92% der deutschen Bäche und Flüsse sind in einem mangelhaften ökologischen Zustand. Dies trotz politischer Bemühungen auf politischer und europäischer Ebene, wie etwa der Wasserrahmenrichtlinie oder der Biodiversitätsstrategie. Zum Glück scheinen die Dürresommer überwunden. Die Nister führt reichlich Wasser.
Jedoch sind größere Teile des umgebenden Waldes weggebrochen, viele Bäume haben den Trockenstress nicht überlebt.
Aber gerade Beschattung ist für den Bach lebensnotwendig, um Überhitzung zu vermeiden. Insbesondere auch die gefährdete Bachforelle ist auf kühles und sauerstoffreiches Wasser angewiesen. In den Wurzeln der Erlen am Bach finden Fische und Krebstiere ihre Kinderstube. Gewässerökologe Steinmann erklärt, Wald und Fließgewässer gehören von Natur aus zusammen. Der Auwald prägt die Wasserlandschaft und das Wasser dominiert den Wald.
Eine Reihe Bäume bietet als Galeriewald einen gewissen Schutz, ein natürlicher Auwald nimmt jedoch die 6-fachen Breite des Fließgewässers auf beiden Seiten ein. Nur hier kann sich natürliche Fließgewässer-Dynamik mit Verklausungen, Breiten- und Tiefenvarianz herausbilden. Es gibt tiefe und flache, breite und schmale Bachabschnitte, Inseln und Kiesbänke, die mit jedem Hochwasser ihre Gestalt verändern. Das ergibt eine Vielfalt an Lebensräumen für Wasser- und Waldbewohner.
Endlich gehen wir mit Gummistiefeln, Keschern und kleinen Schalen hinunter in den Bach. Die Kinder sind mit Begeisterung tätig.
An, auf und unter den Steinen wimmelt es von Köcherfliegenlarven mit ihren selbst-gebauten Schutzhüllen aus kleinen Kieseln und Holzstückchen.
Verschiedene Arten, auch Eintagsfliegenlarven, Steinfliegenlarven, Krebstierchen und Schnecken gibt es zu entdecken. Unser NAJU-Gruppenleiter hat Artenbestimmungstafeln dabei.
Mit den Kindern durchqueren wir den Bach und erkunden die Wildnis, die hier im ständigem Wandel und immer für eine Überraschung gut ist. Beim letzten Hochwasser hat die Nister Baumstämme und Wurzeln aufgetürmt ähnlich einer Biberburg. Solche Totholzansammlungen, der Gewässerökologe nennt sie „Verklausungen“, sind biologisch sehr wertvoll. Um den natürlich gestauten Bereich herum, haben sich neue Bachläufe ausgebildet. Im ruhigen Nebengerinne wächst Quellmoos, eine selten gewordene Art, die hohe ökologische Qualität anzeigt.
Fotos: Rainer Perlik, Rainer Roth
Ein intakter Auwald ist ein Lebensraum von hochgradiger Diversität, erklärt Frank Steinmann. Eine vielfältige Lebensgemeinschaft von Tier- und Pflanzenarten findet in ihm ihr Habitat entlang des frei fließenden Baches mit all seiner ungebremsten Dynamik. Auenwälder bedürfen eines besonderen Schutzes, denn sie gehören zu den stark bedrohten Lebensräumen in unserer Kulturlandschaft! Vergleicht man diesen wenige hundert Meter langen Abschnitt der Nister mit dem im Grün- und Weideland gelegenen und durch den Menschen geprägten Bereich, wird einem schnell klar, warum Flüsse und Bäche auch als Lebensadern bezeichnet werden. Hier werden die Kinder fündig und entdecken Bachflohkrebse. Wir müssen nachdenken, wie wir mit unserem wichtigsten und am besten kontrollierten Rohstoff und Lebensmittel Trinkwasser umgehen, sagt Frank Steinmann. Die Nister hat seit Jahren ungelöste Probleme mit der Wasserqualität und strukturellen Defiziten. Insbesondere der Oberlauf braucht mehr Beachtung. Gewässerökologe Steinmann verabschiedet sich mit aufmunternden Worten von den Kinder und Eltern, die so gut mitgearbeitet und Bachhindernisse geschickt überwunden haben.
Ende